Bewertung landwirtschaftlicher Grundstücke: So beeinflussen Pacht, Bodenqualität und Baurecht den Marktwert
Nov, 9 2025
Warum landwirtschaftliche Grundstücke nicht wie Wohnimmobilien bewertet werden
Ein Ackerfeld ist kein Haus. Und trotzdem wird es oft so behandelt, als wäre es eine Immobilie, die man einfach mit dem Preis pro Quadratmeter berechnen kann. Doch bei landwirtschaftlichen Grundstücken geht es um viel mehr als nur um Fläche. Hier entscheiden Bodenqualität, Pachtverhältnisse und Baurecht, ob ein Grundstück 20.000 oder 50.000 Euro pro Hektar wert ist. In Deutschland wird das seit Jahrzehnten nach strengen Regeln gemacht - und doch gibt es massive Unterschiede zwischen offiziellen Werten und dem, was auf dem Markt wirklich gezahlt wird.
Die drei Säulen der Bewertung: Boden, Pacht, Baurecht
Die offizielle Bewertung landwirtschaftlicher Flächen in Deutschland basiert auf dem Bewertungsgesetz (BewG) und der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV). Doch wer das Verfahren versteht, sieht schnell: Es ist kein einfacher Rechenschieber. Drei Faktoren spielen die Hauptrolle.
Erstens: Bodenqualität. Hier geht es nicht um Farbe oder Lockerheit, sondern um die Ackerzahl. Diese Zahl, die zwischen 7 und 100 liegt, sagt, wie gut der Boden für den Anbau von Getreide, Raps oder Kartoffeln geeignet ist. Ein Wert von 40-60 gilt als gut, über 60 als sehr gut. In Bayern oder Niedersachsen, wo die Böden seit Jahrhunderten fruchtbar sind, liegen viele Flächen bei 70-85. In Brandenburg oder Teilen Sachsens, wo der Boden sandiger ist, kommen oft nur 30-50 zustande. Diese Zahl bestimmt, wie viel Ertrag die Fläche langfristig bringen kann - und damit ihren Wert.
Zweitens: Pachtverhältnisse. Ein Grundstück, das von einem Landwirt bewirtschaftet wird, ist nicht dasselbe wie ein Grundstück, das leer steht. Wenn der Pachtvertrag noch 15 Jahre läuft und die Pacht niedrig ist - sagen wir 300 Euro pro Hektar -, dann ist der Marktwert niedriger, als wenn der Vertrag ausgelaufen ist und der neue Besitzer selbst nutzen kann. Denn der Pächter hat ein Nutzungsrecht. Der Eigentümer bekommt nur den Pachtzins, nicht den vollen Ertrag. Das senkt den Wert. Umgekehrt: Ein Grundstück mit hohen Pachtzahlungen und kurzer Laufzeit kann deutlich mehr wert sein, weil der neue Käufer sofort höhere Einnahmen erwartet.
Drittens: Baurecht. Hier wird es spannend. Ein Acker, der neben einer Autobahn liegt und als Bauerwartungsland klassifiziert ist, kann plötzlich doppelt so viel wert sein wie ein identischer Acker 500 Meter weiter, der nur landwirtschaftlich genutzt werden darf. Warum? Weil er potenziell bebaut werden kann - für einen Gewerbepark, eine Photovoltaik-Anlage oder ein Wohngebiet. Die Möglichkeit, das Land in Zukunft zu nutzen, verändert den Wert dramatisch. Das nennt man Residualwert. Und er wird oft unterschätzt, besonders wenn die Gemeinde noch nicht entschieden hat, ob das Gebiet ausgewiesen wird.
Wie wird der Wert eigentlich berechnet?
Die offizielle Methode ist kompliziert, aber sie funktioniert nach einem klaren Schema. Zuerst wird die Bodenzahl ermittelt - das ist die Grundlage. Daraus ergibt sich die Ackerzahl, die dann mit der Flächengröße multipliziert wird. Das Ergebnis ist der Flächenwert. Danach wird der Reinertrag berechnet: Das ist der Gewinn, den man aus der landwirtschaftlichen Nutzung ziehen könnte, abzüglich Kosten für Saatgut, Maschinen, Arbeitskräfte und Steuern.
Dieser Reinertrag wird dann mit einem Kapitalisierungsfaktor multipliziert - so wie bei einer Mietwohnung, wo man den Mietwert durch einen Zinssatz teilt, um den Kaufpreis zu ermitteln. In Deutschland liegt dieser Faktor meist zwischen 10 und 15. Das heißt: Ein Grundstück mit einem jährlichen Reinertrag von 1.500 Euro pro Hektar hat einen Wert von 15.000 bis 22.500 Euro pro Hektar. Klingt einfach? Ist es aber nicht.
Warum? Weil die Bodenrichtwerte, die die Gemeinden alle zwei Jahre veröffentlichen, oft nicht aktuell sind. In manchen Regionen sind die Werte noch auf 2020 basiert, obwohl die Preise seitdem um 30 Prozent gestiegen sind. Und in anderen Gegenden werden Ackerland und Grünland nicht einmal unterschieden - obwohl Grünland oft nur halb so viel wert ist. Das führt zu massiven Fehlbewertungen.
Was passiert, wenn Baurecht hinzukommt?
Ein Grundstück, das nur landwirtschaftlich genutzt werden darf, ist ein Landwirtschaftsgrundstück. Wenn es aber als Bauerwartungsland gekennzeichnet ist, kann es bald Bauland werden. Und das ändert alles.
Ein Beispiel: Ein 10-Hektar-Grundstück in Brandenburg mit einer Ackerzahl von 65 hat einen offiziellen Wert von etwa 28.000 Euro pro Hektar - also 280.000 Euro insgesamt. Aber wenn die Gemeinde plant, das Gebiet als Gewerbegebiet auszuweisen, steigt der Wert auf 60.000 Euro pro Hektar - oder mehr. Warum? Weil ein Investor nicht für Ackerland zahlt, sondern für die Chance, dort ein Logistikzentrum zu bauen. Der sogenannte Residualwert - der Wert, der übrig bleibt, wenn man die Baukosten abzieht - wird dann zum entscheidenden Faktor.
Das ist auch der Grund, warum große Investoren, Immobilienfonds und Energieunternehmen heute verstärkt landwirtschaftliche Flächen kaufen. Sie investieren nicht in die Landwirtschaft, sondern in die Zukunft. Agri-Photovoltaik, Windparks, Biogasanlagen - alles braucht Fläche. Und wenn die Gemeinde das Baurecht zulässt, kann ein Acker plötzlich zehnmal mehr wert sein als vorher.
Warum gibt es so große Preisunterschiede zwischen Nachbargemeinden?
Ein Landwirt aus Niedersachsen berichtet auf einem Forum, dass sein Nachbar 500 Meter weiter sein Grundstück für 32.000 Euro pro Hektar verkauft hat - obwohl die Bodenqualität nahezu identisch ist. Der Grund? Die Nachbargemeinde hat das Gebiet als Bauerwartungsland ausgewiesen, während seine Gemeinde das nicht getan hat. Kein Unterschied in der Ertragskraft - aber 4.000 Euro pro Hektar Unterschied im Wert.
Diese Diskrepanzen sind kein Zufall. Sie entstehen, weil die Gutachterausschüsse in den Gemeinden nicht immer die gleichen Kriterien anwenden. Einige listen genau, welche Flächen als Bezugsgrundstücke gelten. Andere tun das nicht - und verwenden dann willkürliche Durchschnittswerte. Das führt dazu, dass in einigen Regionen der höchste Kaufpreis das 25-Fache des niedrigsten ist, wie Anwälte von Brennecke Rechtsanwälte beobachtet haben.
Und dann ist da noch das Problem der Transparenz. Die Dokumente, die die Bodenrichtwerte berechnen, sind oft nicht öffentlich zugänglich. Wer will, kann sie beim Gutachterausschuss anfordern - aber das dauert Wochen, und oft bekommt man nur unvollständige Daten. Das macht es für Privatpersonen fast unmöglich, die Bewertung nachzuvollziehen.
Was kostet eine professionelle Bewertung?
Wer ein Grundstück verkaufen, erben oder steuerlich bewerten will, braucht einen Sachverständigen. Die Kosten liegen zwischen 500 und 2.500 Euro - je nach Größe und Komplexität. Eine 5-Hektar-Fläche mit klarem Ackerland und keinem Baurecht kostet vielleicht 700 Euro. Eine 20-Hektar-Fläche mit unklarem Baurecht, mehreren Pachtverträgen und unterschiedlichen Bodentypen kann leicht 2.000 Euro kosten.
Die meisten Gutachter nutzen drei Methoden: Das Vergleichswertverfahren (schaut, was ähnliche Flächen kürzlich gekostet haben), das Ertragswertverfahren (berechnet den jährlichen Gewinn und kapitalisiert ihn) und das Residualwertverfahren (für Flächen mit Entwicklungspotenzial). Der offizielle Weg - das Ertragswertverfahren nach BewG - ist für Steuern verpflichtend. Aber für den Verkauf ist er oft nicht der beste. Ein Investor will den Marktwert, nicht den steuerlichen Wert.
Was ändert sich bis 2026?
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag 2021 angekündigt: Bis 2026 soll ein digitales Bodenwertregister eingeführt werden. Das bedeutet: Alle Bodenrichtwerte, Ackerzahlen, Pachtverträge und Baurechtsinformationen werden zentral erfasst und online zugänglich. Das ist ein großer Schritt. Bislang ist die Bewertung ein lokales, oft undurchsichtiges System. Mit dem Register könnte man in Sekunden sehen, wie viel ein Grundstück wirklich wert ist - unabhängig von der Gemeinde, in der es liegt.
Auch die Bewertungsmethoden werden sich ändern. Die Novellierung des Bewertungsgesetzes ab 2022 berücksichtigt jetzt Klimafaktoren: Wie stark beeinflusst Dürre oder Überschwemmung die langfristige Bodenqualität? Bisher wurde das kaum eingerechnet. Experten wie Professor Dr. Klaus Müller von der Universität Göttingen warnen: Wenn wir die Bodenqualität in Regionen mit steigenden Temperaturen weiterhin wie vor 20 Jahren bewerten, geben wir Grundstücke zu hoch aus - und riskieren, dass Investoren später enttäuscht werden.
Und dann ist da noch die Frage der Nachhaltigkeit. Das Bundesbodenschutzgesetz verschärft seit 2020 die Regeln: Wer Ackerland in Bauland umwandelt, muss heute Nachweise erbringen, dass er anderweitig Ersatzflächen schafft. Das macht die Umwandlung teurer - und senkt den Residualwert. Die Zukunft liegt also nicht nur in der Nutzung, sondern auch in der Verantwortung.
Was bedeutet das für Landwirte und Investoren?
Wenn Sie als Landwirt ein Grundstück vererben, müssen Sie wissen: Der Wert, den das Finanzamt berechnet, ist nicht der Wert, den ein Käufer zahlt. Und wenn Sie als Investor eine Fläche kaufen, fragen Sie nicht nur nach der Bodenqualität - fragen Sie nach dem Baurecht. Hat die Gemeinde einen Bebauungsplan? Wird die Fläche in den nächsten fünf Jahren ausgewiesen? Ist sie Teil eines Windparkprojekts?
Ein Tipp: Lassen Sie sich nicht nur vom Bodenrichtwert leiten. Holen Sie sich einen unabhängigen Gutachter, der die Fläche vor Ort begutachtet - und nicht nur die Zahlen aus der Datenbank abruft. Und wenn Sie verkaufen: Machen Sie die Pachtverträge transparent. Ein guter Pachtvertrag mit hohen Zinsen und kurzer Laufzeit kann den Wert steigern. Ein schlechter Vertrag kann ihn drücken.
Die Preise für landwirtschaftliche Flächen steigen weiter. Seit 2010 haben sie sich mehr als verdreifacht - von 11.800 Euro auf über 29.500 Euro pro Hektar. Und das ist nur der Anfang. Wer jetzt versteht, wie die Bewertung wirklich funktioniert, hat einen klaren Vorteil - auf dem Markt, beim Verkauf, bei der Steuer.
Was ist mit der Erbschaftssteuer?
Wenn Sie ein landwirtschaftliches Grundstück erben, ist die steuerliche Bewertung ein eigenes Kapitel. Grundstücke, die vor dem 1. Juli 1970 in das Betriebsvermögen eingelegt wurden, werden nach § 55 EStG bewertet - mit einem sehr niedrigen Wert, der oft weit unter dem Marktpreis liegt. Das ist ein alter Regelung, die noch aus der Zeit der Agrarreform stammt. Grundstücke, die danach erworben wurden, werden mit den tatsächlichen Anschaffungskosten bewertet. Das führt dazu, dass zwei identische Flächen in derselben Gemeinde, aber mit unterschiedlichem Erwerbsdatum, komplett unterschiedlich besteuert werden.
Die Finanzämter nutzen dafür spezielle Programme wie das „Erbschaft- und Schenkungsteuer comfort“ von DATEV. Doch auch hier: Die Daten sind oft veraltet. Und viele Erben bekommen keine klare Auskunft, warum ihr Grundstück so bewertet wurde. Deshalb ist es sinnvoll, bei größeren Erbschaften einen spezialisierten Steuerberater hinzuzuziehen - nicht nur einen Generalisten.
Was bleibt zu tun?
Die Bewertung landwirtschaftlicher Grundstücke ist kein einfaches Spiel. Es ist eine Mischung aus Wissenschaft, Recht, Markt und Politik. Die offiziellen Methoden geben Sicherheit - aber nicht immer Wahrheit. Der wirkliche Wert entsteht dort, wo Bodenqualität, Pachtverhältnisse und Baurecht aufeinandertreffen.
Wenn Sie ein Grundstück bewerten lassen, fragen Sie nach:
- Wie hoch ist die Ackerzahl - und wer hat sie festgelegt?
- Gibt es einen laufenden Pachtvertrag? Wie lange noch? Wie hoch ist die Pacht?
- Was steht im Bebauungsplan? Wird das Grundstück in den nächsten Jahren ausgewiesen?
- Wurde die Fläche als Bauerwartungsland oder Rohbauland klassifiziert?
- Wurden Ackerland und Grünland unterschieden?
Und wenn Sie unsicher sind: Holen Sie sich eine zweite Meinung. Ein Gutachter, der nur die offiziellen Zahlen nutzt, sagt Ihnen nicht alles. Der richtige Gutachter sieht die Fläche, spricht mit den Nachbarn, prüft die Gemeindepläne - und weiß, wo der wirkliche Wert liegt.
Wie wird die Ackerzahl berechnet?
Die Ackerzahl wird aus der Bodenzahl abgeleitet, die wiederum aus der Bodenart (z. B. Lehm, Sand, Ton), dem Bodenzustand (z. B. Humusgehalt, Versalzung) und der Entstehung (z. B. Flussablagerung, Gletscher) berechnet wird. Danach werden klimatische Faktoren wie Niederschlag, Temperatur und Sonneneinstrahlung sowie die Geländegestaltung (Hangneigung, Drainage) berücksichtigt. Die endgültige Ackerzahl liegt zwischen 7 und 100 und wird vom Gutachterausschuss festgelegt. Sie ist der zentrale Wert für die landwirtschaftliche Nutzung.
Kann ich den Bodenrichtwert selbst einsehen?
Ja, der Bodenrichtwert ist öffentlich zugänglich, aber nicht immer leicht zu finden. Sie müssen sich an den örtlichen Gutachterausschuss wenden - meist beim Landratsamt oder der Stadtverwaltung. Dort können Sie die Bodenrichtwertkarte und die zugrundeliegenden Kaufpreissammlungen anfordern. Allerdings erhalten Sie oft nur zusammengefasste Daten, nicht die Einzeldaten der einzelnen Grundstücke. In einigen Bundesländern gibt es mittlerweile Online-Portale, aber bundesweit ist das noch nicht standardisiert.
Warum ist mein Grundstück trotz guter Bodenqualität so wenig wert?
Ein schlechter Wert kann mehrere Gründe haben: Vielleicht ist das Grundstück schlecht erschlossen (keine Straße, keine Wasser- oder Stromleitungen), hat einen unregelmäßigen Zuschnitt (schwer zu bewirtschaften), liegt abgelegen oder ist von Pachtverträgen belastet, die den Ertrag dämpfen. Auch wenn die Ackerzahl hoch ist, kann die Topografie (z. B. steile Hänge) oder die Nähe zu Schutzgebieten den Wert senken. Prüfen Sie immer alle Faktoren - nicht nur die Bodenqualität.
Wie wirkt sich Agri-Photovoltaik auf die Bewertung aus?
Agri-Photovoltaik - also Solaranlagen auf Ackerland - wird seit 2022 als Sonderfall behandelt. Die offizielle Bewertung berücksichtigt den Ertrag aus der Stromerzeugung als zusätzlichen Reinertrag. Das erhöht den Wert, aber nur, wenn die Anlage genehmigt ist. Ein Grundstück mit geplanter PV-Anlage kann bis zu 30 Prozent mehr wert sein als ein identisches ohne. Allerdings: Wenn die Anlage später entfernt werden muss, sinkt der Wert wieder. Die Bewertung muss also zwischen kurzfristigem Nutzen und langfristiger Bodennutzung abwägen.
Was passiert, wenn ich ein Grundstück verkaufe, das als Bauerwartungsland klassifiziert ist?
Wenn das Grundstück als Bauerwartungsland klassifiziert ist, aber noch nicht als Bauland ausgewiesen wurde, zahlen Sie bei Verkauf keine Spekulationssteuer - solange es nicht innerhalb von zehn Jahren bebaut wird. Der Käufer übernimmt das Risiko, dass die Ausweisung nicht erfolgt. Der Verkaufspreis wird daher oft mit einem Risikoaufschlag berechnet. Ein seriöser Käufer verlangt einen Nachweis, dass die Gemeinde die Ausweisung geplant hat - sonst ist der Preis oft zu hoch.