Fahrstühle nachrüsten im Wohngebäude: Rechte, Kosten und Schritte für Barrierefreiheit

Fahrstühle nachrüsten im Wohngebäude: Rechte, Kosten und Schritte für Barrierefreiheit Dez, 3 2025

Ein Wohnhaus ohne Aufzug ist heute für viele keine Option mehr. Ob wegen altersbedingter Mobilitätseinschränkungen, Kinderwagen oder einfach nur schwerer Einkaufstaschen - die Nachfrage nach barrierefreiem Wohnen wächst. Und das nicht nur aus humaner Sicht, sondern auch rechtlich: Seit dem Bundesgerichtshof-Urteil vom 15. Juni 2023 (AZ V ZR 244/22B) müssen Eigentümergemeinschaften einen Aufzug nachrüsten, wenn es um Barrierefreiheit geht. Selbst wenn der Antragsteller nicht selbst behindert ist, hat er ein Recht darauf. Das ist kein Kleingedrucktes mehr - das ist das neue Gesetz.

Was sagt das Gesetz wirklich?

Die rechtliche Grundlage ist das Wohnungseigentumsgesetz (WEG), genauer § 22. Dort steht: Wer eine bauliche Veränderung vorschlägt, die die Nutzung des Hauses für Menschen mit Behinderung verbessert, kann sie verlangen - und die Mehrheit der Eigentümer muss zustimmen. Vor 2023 war das oft eine Frage der Mehrheit, des Geldes oder der Stimmung im Haus. Heute ist es eine Frage der Pflicht. Der BGH hat klargestellt: Es reicht nicht mehr aus, zu sagen, „das ist zu teuer“ oder „das passt nicht zum Altbau“. Die einzige gültige Ausnahme: Wenn der Einbau das Gebäude unwiderruflich schädigt - zum Beispiel bei einem denkmalgeschützten Haus mit originalen Fassaden und tragenden Wänden aus dem 19. Jahrhundert.

Doch selbst da ist nicht Schluss. Das Bayerische Verwaltungsgericht hat 2012 entschieden: Bei Denkmälern muss eine Einzelfallprüfung stattfinden. Es geht nicht um pauschale Ablehnung, sondern um Abwägung. Kann ein Außenaufzug installiert werden, ohne das historische Erscheinungsbild zu zerstören? Gibt es eine Lösung mit minimalem Eingriff? Diese Fragen müssen beantwortet werden - und zwar von einem Gutachter, nicht von der Nachbarin, die „das Haus doch sonst nicht mehr erkennt“.

Wann ist ein Aufzug gesetzlich vorgeschrieben?

Die Bauordnungen der 16 Bundesländer unterscheiden sich - und das ist ein wichtiger Punkt, den viele vergessen. In Berlin gilt eine Aufzugspflicht ab vier oberirdischen Geschossen. In Nordrhein-Westfalen schon ab drei. In Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern ist die Grenze die Höhe: ab 13 Metern. Das klingt technisch, ist aber entscheidend. Ein 5-geschossiger Altbau mit 2,80 m Deckenhöhe pro Etage hat knapp 14 Meter. Da ist er schon betroffen. Ein 4-geschossiger Bau mit 3,20 m Deckenhöhe hat 12,80 Meter - und fällt unter die Grenze. Hier ist die Rechtslage nicht einheitlich, sondern baulich.

Die Mindestanforderungen an die Aufzugskabine sind in allen Ländern ähnlich: mindestens 1,10 m x 1,40 m innen, Türöffnung mindestens 90 cm breit. Für Rollstühle, Krankentragen oder Lasten muss mindestens ein Aufzug in einem Haus 1,10 m x 2,10 m groß sein. Das ist nicht optional. Und: Jeder neue Aufzug braucht ein Fern-Notrufsystem mit Zwei-Wege-Kommunikation - das schreibt die europäische Aufzugsrichtlinie 2014/33/EU vor. Kein Ausweg, kein Kompromiss.

Gruppe von Bewohnern in einer Versammlung, Architekt zeigt 3D-Modell eines Aufzugs, Dokumente mit '§22 WEG' auf dem Tisch.

Kosten: Was kostet ein Aufzug wirklich?

Die Zahlen, die man im Internet findet, sind oft irreführend. „Ab 20.000 Euro“ - das klingt nach einem Schnäppchen. Aber das ist der Preis für eine kleine, einfache Kiste ohne Schacht, ohne Statik, ohne Genehmigung. Realistisch sieht es so aus:

  • Ein Innenaufzug in einem bestehenden Haus: 120.000 bis 250.000 Euro Gesamtkosten (Schacht, Statik, Aufzug, Elektrik, Genehmigung)
  • Ein Außenaufzug: 90.000 bis 180.000 Euro - oft günstiger, weil kein Schacht in das Gebäude geschnitten werden muss
  • Pro Wohnungseigentümer: Bei 10 Wohnungen sind das 12.000 bis 25.000 Euro pro Person

Das ist kein kleiner Betrag. Und viele vergessen die Zusatzkosten: 28 % über dem ursprünglichen Kostenvoranschlag sind die Regel, nicht die Ausnahme. Warum? Weil alte Wände nicht tragen, was man sich vorstellt. Weil die Elektroinstallation nicht mit dem alten Haus zusammenpasst. Weil die Baugenehmigung monatelang dauert und die Preise für Stahl und Kabel steigen.

Und dann gibt es noch die Förderung. In Berlin zahlt das Programm „Wohnen für Alle“ bis zu 65 % der Kosten. In Bayern gibt es maximal 40.000 Euro pro Aufzug. In anderen Ländern gibt es gar nichts. Das macht die Rechnung komplett anders. Wer in Berlin wohnt, zahlt vielleicht nur 7.000 Euro. Wer in Bayern lebt, zahlt 15.000. Wer in Sachsen wohnt, zahlt 25.000 - und bekommt nichts zurück.

Wie läuft der Prozess ab?

Es ist kein DIY-Projekt. Es ist ein komplexer Prozess mit fünf klaren Schritten:

  1. Antrag stellen: Ein Eigentümer oder Mieter stellt schriftlich einen Antrag nach § 22 WEG. Der Antrag muss konkret sein: Typ des Aufzugs, Standort, Kosten, Fördermöglichkeiten. Keine vagen Ideen.
  2. Genehmigung einholen: Bevor man irgendetwas baut, muss die Baugenehmigung bei der zuständigen Bauaufsicht beantragt werden. Dauer: durchschnittlich 4,2 Monate. In Denkmalschutzgebieten: bis zu 11 Monate.
  3. Fachplanung: Ein spezialisierter Aufzugsplaner muss die Statik prüfen, den Schacht entwerfen, die Technik auswählen. 63 % der Projekte scheitern an schlechter Planung - nicht am Geld.
  4. Abstimmung mit der Gemeinschaft: Die Eigentümerversammlung muss den Auftrag vergeben. Mindestens 75 % der Stimmen sind nötig - aber seit 2023 muss die Gemeinschaft dem Antrag zustimmen, wenn er barrierefrei ist. Es geht nicht um Mehrheit, sondern um Recht.
  5. Bau und Inbetriebnahme: Der Bau dauert 3 bis 4 Monate. Danach kommt die Abnahme durch die Überwachungsstelle (ZÜS). Erst dann darf der Aufzug fahren.

Wer diesen Prozess nicht kennt, scheitert. Die meisten Projekte, die scheitern, scheitern nicht am Geld, sondern an der falschen Reihenfolge. Wer mit dem Aufzugshersteller loslegt, bevor die Genehmigung da ist, hat schon verloren.

Gegenüberstellung: allein auf dem Balkon vs. glücklich im Aufzug – Transformation durch Barrierefreiheit.

Was funktioniert - und was nicht?

Ein Beispiel aus Köln: Ein 8-geschossiges Wohnhaus aus den 1970ern wurde mit einem Außenaufzug nachgerüstet. Der Schacht wurde an der Rückseite angebaut, der alte Eingang blieb unverändert. Die Kosten: 165.000 Euro. Die Förderung: 15 %. Die Bewohner: 94 % nutzen ihn regelmäßig. Kein Streit, kein Protest. Warum? Weil sie früh mit eingebunden wurden. Die Architekten zeigten 3D-Modelle. Die Mieter konnten den Standort wählen. Die Kosten wurden transparent aufgeschlüsselt.

Gegenbeispiel: Ein 6-geschossiges Denkmal in München. Ein Mieter mit Parkinson beantragte einen Aufzug. Ein Gutachter bestätigte: medizinisch notwendig. Die Denkmalschutzbehörde lehnte ab: „Der Schacht verändert das historische Erscheinungsbild irreparabel.“ Kein Aufzug. Keine Ausnahme. Keine Möglichkeit. Das ist die Realität - und sie ist hart.

Die Lösung? Oft ist ein Außenaufzug die einzige Chance. Er verändert das Innere nicht. Er ist sichtbar - aber er rettet die Lebensqualität. Viele Eigentümergemeinschaften haben Angst vor dem „Schandfleck“. Aber wer will lieber einen behinderten Nachbarn im Obergeschoss sitzen lassen, oder eine 80-Jährige, die seit Jahren nicht mehr aus der Wohnung kommt?

Was kommt als Nächstes?

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Bis 2040 wird fast jeder dritte Deutsche über 65 sein. Das Statistische Bundesamt sagt das. Die Deutsche Gesellschaft für barrierefreies Bauen sagt: 78 % der Wohngebäude über 50 Jahre sind nicht barrierefrei. Und das ifo Institut prognostiziert: Bis 2030 steigt die Zahl der Aufzugsnachrüstungen um 320 %. Das ist kein Trend. Das ist eine Notwendigkeit.

Die Bundesregierung arbeitet an einer neuen Musterbauordnung - bis 2025 sollen die Anforderungen noch strenger werden. Wer jetzt wartet, zahlt später mehr. Wer jetzt plant, profitiert von Förderungen, die bald abgebaut werden. Wer jetzt handelt, verhindert, dass seine Nachbarn allein bleiben.

Der Aufzug ist kein Luxus. Er ist die Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung. Und das Recht darauf hat jeder - egal ob er behindert ist oder nicht. Es geht nicht um Mitgefühl. Es geht um Gesetz. Und das Gesetz ist auf Ihrer Seite.

Kann ich als Mieter einen Aufzug verlangen?

Ja. Als Mieter können Sie einen Antrag auf barrierefreien Aufzug stellen. Der Antrag muss über den Eigentümer oder die Eigentümergemeinschaft gestellt werden, aber Sie haben ein Recht darauf, dass er geprüft wird. Der BGH hat klargestellt, dass der Antragsteller nicht selbst behindert sein muss - es reicht, wenn der Aufzug die Barrierefreiheit für Bewohner verbessert. Der Vermieter oder die Eigentümergemeinschaft muss den Antrag ernst nehmen und in der Eigentümerversammlung behandeln.

Was kostet ein Aufzug pro Wohnung?

Die Kosten variieren stark. In einem 10-Wohnung-Haus liegen die Gesamtkosten zwischen 120.000 und 250.000 Euro. Das macht 12.000 bis 25.000 Euro pro Wohnung. Bei Außenaufzügen sind es oft 90.000 bis 180.000 Euro insgesamt - also 9.000 bis 18.000 Euro pro Wohnung. Förderungen können bis zu 65 % der Kosten übernehmen - je nach Bundesland. In Berlin und Bayern gibt es die höchsten Zuschüsse.

Brauche ich eine Baugenehmigung?

Ja, immer. Selbst wenn es nur ein kleiner Aufzug ist. Die Baugenehmigung muss vor dem Bau beantragt werden - nicht danach. Die Dauer liegt zwischen 4 und 11 Monaten, je nach Bundesland und ob das Gebäude denkmalgeschützt ist. Ohne Genehmigung ist der Aufzug illegal - und die Versicherung zahlt im Schadensfall nicht.

Gibt es Förderungen für Aufzüge?

Ja, aber nur in einigen Bundesländern. Berlin fördert bis zu 65 % der Kosten über „Wohnen für Alle“. Bayern zahlt maximal 40.000 Euro pro Aufzug. In anderen Ländern gibt es keine oder nur geringe Zuschüsse. Auch das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ kann helfen - aber nur, wenn das Gebäude mindestens 10 Jahre alt ist und die Maßnahme barrierefrei ist. Wichtig: Förderanträge müssen vor Beginn der Bauarbeiten gestellt werden.

Kann ein Aufzug in einem Denkmal geschützten Haus eingebaut werden?

Möglich, aber nicht automatisch. Bei denkmalgeschützten Gebäuden muss eine Einzelfallprüfung erfolgen. Der Schutz des historischen Erscheinungsbildes hat Vorrang - aber nur, wenn es keine alternative Lösung gibt. Ein Außenaufzug, der die Fassade nicht berührt, wird oft genehmigt. Ein Innenaufzug, der tragende Wände durchbricht, wird meist abgelehnt. Entscheidend ist ein Gutachten, das zeigt: Der Eingriff ist minimal, die Notwendigkeit hoch.

Wie lange dauert der gesamte Prozess?

Insgesamt dauert der Prozess zwischen 10 und 18 Monate. 4-11 Monate für die Genehmigung, 2-3 Monate für die Planung, 3-4 Monate für den Bau. Dazu kommen die Versammlungen, Gutachten und Abstimmungen. Wer schnell will, muss früh anfangen. Die meisten Projekte scheitern nicht am Geld, sondern an der Verzögerung durch falsche Reihenfolge.

Was passiert, wenn die Mehrheit gegen den Aufzug stimmt?

Seit dem BGH-Urteil vom Juni 2023 ist das nicht mehr ausreichend. Wenn ein Antrag auf Barrierefreiheit gestellt wird, muss die Eigentümergemeinschaft ihn genehmigen - es sei denn, es gibt einen absoluten Ausnahmegrund wie Denkmalschutz oder unverhältnismäßige Kosten. Eine einfache Mehrheit kann nicht mehr ablehnen. Wer trotzdem ablehnt, riskiert eine Klage - und muss die Kosten tragen, wenn er verliert.

3 Kommentare

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    Oliver Rütten

    Dezember 3, 2025 AT 21:37

    Ein Aufzug ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht. Wer das nicht sieht, lebt in einer anderen Zeit.
    Ich hab’ mal in einem 100-jährigen Haus gewohnt – ohne Aufzug. Die Oma im vierten Stock kam nur noch raus, wenn jemand sie trug.
    Das ist kein „Schandfleck“, das ist menschliches Versagen.
    Und ja – ich weiß, es kostet. Aber was kostet es, wenn jemand allein stirbt, weil er nicht mehr runterkommt?

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    Niamh Manning

    Dezember 4, 2025 AT 12:29

    Ach ja, wieder die übliche Moralkeule. „Barrierefreiheit!“ – klar, wir sollen alle unsere Häuser in Krankenhäuser verwandeln, weil ein paar alte Leute nicht mehr treppensteigen können.
    Wusstet ihr, dass in Irland niemand einen Aufzug braucht? Wir haben Treppen. Und wir haben Charakter.
    Und wenn du nicht mehr kannst, dann zieh doch in eine Senioren-WG – oder in den Pflegeheim-Schreibtisch, der dir sowieso schon zusteht.
    Und nein, ich zahle nicht für deine Bequemlichkeit.

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    Enna Sheey

    Dezember 4, 2025 AT 22:45

    Ich find’s echt ironisch, dass Leute hier so laut nach „Gesetz“ schreien, aber die Realität ignorieren.
    Mein Opa hat 40 Jahre in einem Haus ohne Aufzug gelebt. Er hat nie geklagt. Er hat sich einfach angepasst.
    Und jetzt? Jetzt soll ein ganzes Haus umgebaut werden, weil jemand „nicht mehr die Treppe hochkriegt“?
    Wieso nicht einfach einen Sitzlift? Oder eine Treppenplattform? Die kosten ein Zehntel und verändern nichts am Gebäude.
    Manchmal ist das Problem nicht die Treppe – sondern die Haltung.

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